Magische Pilze

Von Schamanen, Wissenschaftlern und anderen Wissensdurstigen

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Im Herbst kommen sie wieder - sie sprießen aus schwülem Boden, faulem Holz oder stinkendem Kuhmist empor: „Magic Mushrooms“ - so genannte psychoaktive, halluzinogene Pilze, die bei uns seit der Antike Angst und Schrecken verbreiten - oder Erleuchtung.

In den letzten Jahren erleben die Psylos eine Renaissance als Modedroge. Der Pilz als Partylöwe macht Schlagzeilen - Techno-Kids nehmen ihn wie schon ihren psychedelisch interessierten Mamas und Papas in den Sechzigern. Doch die Suche nach den psychoaktiven Pilzen ist so alt wie die Menschheit. Ihr modischer Gebrauch überdeckt ihre ursprünglich religiöse Bedeutung, das Wissen um die vielfältigen Eigenarten der Zauberpilze war in unseren Breitengraden jahrhunderte lang verschüttet und tabuisiert. Heute sind sie auch ein Thema für die moderne Wissenschaft.

Ausgehend von Nepal und Mexiko, den schamanistischen Ursprüngen der Pilzkultur, erkundet die Dokumentation die Erkenntnisse der Wissenschaften zu den halluzinogenen Pilzen. Die Reise führt uns in Vergangenheit und Zukunft, wir streifen die durch Pilze ausgelösten gesellschaftlichen Phänomene, begegnen Forschern in Asien, Amerika und Europa und erhellen die facettenreichen Eigenwilligkeiten der psychoaktiven Sonderlinge in ihrem wissenschaftlich-kulturellen Kontext.

In den nepalesischen Bergen machten im letzten Jahr Ethnologen eine interessante Entdeckung: einheimische Schamanen nutzen dort halluzinogene Pilze für spirituelle Rituale, und bestätigten, das sie dies in Ausübung einer uralten Tradition täten. Das war bislang nicht bekannt, und unterstützt zugleich eine bedeutende These des berühmten Pilzforschers Gordon Wasson: die Einnahme der Magic Mushrooms habe den Menschen in einer frühen Stufe ihrer Entwicklungsgeschichte das Tor zum Göttlichen geöffnet. Religiöse Ekstase, der Glaube an eine höhere Intelligenz und damit das Entstehen von Kultur seien der Inspiration durch Magic Mushrooms zu verdanken. Weltweit.

In der Antike etwa - bei den eleusinischen Mysterien wurde den Pilgern ein mysteriöser Trank gereicht. Sie berichteten von Visionen, geisterhaften Erscheinungen, religiöser Exstase. Wasson und der Altphilologe Prof. Carl A.P. Ruck von der Boston University, fanden Belege dafür, dass bei den eleusinischen Mysterien ein Trunk mit Mutterkornpilz den Menschen zu ihren überirdischen Erfahrungen verholfen hat.
Ähnlich sprechen die Rig-Veda, die vedischen Gesänge ehrfurchtsvoll von Soma. Für die Indo-Germanischen Völker war Soma ein Gott, zugleich eine Pflanze und die berauschende Essenz dieser Pflanze. Wissenschaftler sind überzeugt, das Soma nichts anderes als ein halluzinogener Pilz war, in manchen Erdteilen womöglich ein Fliegenpilz. Die jüngsten Erkenntnisse aus Nepal erhärten diese Erkenntnis.

Den bei uns als giftig geltenden Fliegenpilz setzten sibierische Schamanen bis heute für ihre berüchtigten Zeremonien ein. Er hat eine lange Rauschgeschichte, so alt wie die Menschheit selbst. Frühe Zeichnungen vom biblischen Baum der Erkenntnis zeigen verblüffende Ähnlichkeit mit einem Pilz.
Auch in unserem Kulturkreis war bis ins Mittelalter hinein die Kraft psychoaktiver Substanzen bekannt. Meist waren es weise Frauen, die, mit ihrer geheimnisvollen Wirkung vertraut, sie zu Heilzwecken oder bei magischen Fruchtbarkeitsritualen einsetzten. Die Inquisition beendete das Treiben der "Hexen" mit brachialer Konsequenz.

Anders in Mexiko. Im Namen des Kreuzes wollten die Konquistadoren das heidnische Pilzritual ausmerzen. Es überlebte im Untergrund, in der Person des Schamanen. Katholischer Glaube und mazatekische Tradition gingen dort lange Hand in Hand. Gordon Wasson entdeckte in den fünfziger Jahren die berühmte Schamanin Maria Sabina, ein lebender Beweis für seine Therorie der religiösen Bedeutung von magischen Pilzen. Die Heilerin versteht den Pilz als heilige Medizin. Er spricht zu ihr aus einer anderen Welt, aus Gottes Reich. Durch sie spricht der Pilz zu den Kranken, offenbarend, heilend. Bis heute arbeiten mexikanische Schamanen mit dem Pilzritual.
Hier zeigt sich eine Parallele zu den nepalesischen Schamamen, von der einer der weltweit führenden Mykologen, der Mexikaner Gastón Guzmán erzählen kann, den wir in Nepal treffen werden.

Wassons Besuch bei Maria Sabina löste zwei, im Grunde gegenläufige Entwicklung aus: die naturwissenschaftliche und ethnologische Erforschung der Pilze machte große Fortschritte und- eher unfreiwillig, die psychedelische Bewegung in den sechziger Jahren nahm ihren Ursprung in Mexiko.

Nachdem Wasson die magische Wirkung des Teonanacatl an sich selbst erfahren hatte, beschloss er die Zauberpilze auch einer naturwissenschaftlichen Untersuchung zuzuführen. Zu diesem Zweck trat er mit dem bekannten Pilzforscher, dem Mykologen Professor Roger Heim, Direktor des Museum National d´Histoire Naturelle in Paris in Verbindung. Heim begleitet die Wassons auf weiteren Expeditionen in das Mazatekenland und führt die botanische Bestimmung der heiligen Pilze durch. Er fand heraus, dass es größtenteils noch nicht beschriebene Blätterpilze der Gattung Psilocybe waren. Heim lies die Pilze in verschiedenen Laboratorien untersuchen. Nachdem es nirgends gelungen war, das wirksame Prinzip zu isolieren, fragte er beim pharmazeutisch-chemischen Forschungslabor von SANDOZ in Basel an. Er hoffte auf die Hilfe von Dr. Albert Hofmann, der dort bereits das LSD entdeckt hatte. Dem begnadeten Chemiker Albert Hofmann gelang es in verhältnismäßig kurzer Zeit, die Substanzen Psilocybin und Psilocin zu isolieren.

Ob naturwissenschaftliche oder kulturhistorische Erkenntnisse zu Pilzen - auf dem Gelände der Harvard Universität in Boston lagert die umfassendste ethno-mykologische Sammlung der Welt, die Tina und Gordon Wasson Collection.
1983 hatte Wasson seine umfangreiche Sammlung Harvards botanischem Museum vermacht.

Neben der wissenschaftlichen Arbeit hatte Wasson seine Reise- und Pilz Erfahrungen in einem Artikel für Life-Magazin 1955 veröffentlicht. Damit löste er ungewollt einen wahren Run auf Mexiko und die Mushrooms aus. Bei Popmusikern, Intellektuellen, Künstlern und Suchenden traten sie als psychedelische Partydroge ihren bis heute ungebrochenen Siegeszug an. Ähnlich, aber besser dosierbar als LSD bieten sie eine natürliche Quelle der Bewußtseinserweiterung und bedienen den Wunsch nach mystischen Erlebnissen.
Stars wie Bob Dylan, John Lennon, Mick Jagger und eine ganze Reihe mehr oder minder begabter Literaten pilgerten damals zu Maria Sabina nach Huautla, andere folgten nach. Zeitweise entwickelte sich ein wahrer Pilztourismus, der das kleine Dorf aus den Fugen brachte. Der berühmte mexikanische Schriftsteller Carlos Fuentes erinnert sich an diese Zeit.
Gesetze gegen den Drogenmißbrauch haben nicht verhindert, daß die Pilze inzwischen weltweit gesucht und gegessen werden. Im Mai 1999 meldete das BKA, der Konsum von Psilocybin sei seit Anfang der 90er Jahre kontinuierlich angestiegen. In Holland ermöglicht eine liberale Rechtssprechung sogar den Verkauf von Pilzen in speziellen Geschäften und einen blühenden Handel via Internet.

Neben dem gefährlichen Mißbrauch grade durch jüngere Partygänger genießen neue Ritualformen in den letzten Jahren wachsenden Zulauf. Die Teilnehmer an Pilzkreisritualen etwa in Deutschland, England, der Schweiz und in den USA rekrutieren sich aus allen Altersstufen und Gesellschaftsschichten.

Man beruft sich auf schamanistische Vorbilder. Pilze werden im Herbst auf heimatlichen Wiesen gesammelt und dann in einem ausgesuchten Ambiente eingenommen: an so genannten heiligen Plätzen, in freier Natur oder leicht geschützt in indianisch nachempfundenen Tipis.


Der allgemeine Anstieg des Drogenkonsums hat die Pilze bereits in den siebziger Jahren in Mißkredit gebracht. Obwohl erwiesen ist, daß sie nicht abhängig machen, wurden sie als Droge weltweit verboten. Darunter hat vor allem die Wissenschaft gelitten. Dennoch beschäftigen Ethnologen, Psychotherapeuten und auch Hirnforscher sich weiter intensiv damit, allerdings unter erschwerten Bedingungen.

Der Chemiker Prof. Dr. Hartmut Laatsch an der Georg-August-Universität Göttingen arbeitet seit Jahrzehnten über Pilzwirkstoffe. Seine Arbeiten bieten die Grundlage für die pharmakologische Verwendung der Pilze und ihren therapeutischen Einsatz.

Bevor Timothy Leary sich zum Drogenapostel stilisierte führte er 1961 als Professor der Psychologie an der Harvard Universität Experimente mit Pilzen durch. Es waren die ersten psycholytischen Experimente, mit den Insassen eines Gefängnisses. Seither beschäftigten sich eine Reihe durchweg seriöser Psychotherapeuten mit den Heilungschancen von psychisch Kranken durch die Einnahme von Psilocybin. Michael Schlichting an der Universität Göttingen hat in den letzten Jahren mehrere Versuchsreihen durchgeführt. Er berichtet von außergewöhnlichen Heilungserfolgen. Der Einsatz von Psilocybin ermöglicht den Zugang zu langjährig verschütteten psychischen Deformierungen. Außerdem kann Psilocybin wegen seiner physiologischen Ungefährlichkeit - physische Nebenwirkungen sind nicht bekannt - bedenkenlos unter ärztlicher Aufsicht verabreicht werden. Unter Schlichtings Federführung begann dieses Jahr ein von der Ethikkommission genehmigtes Forschungsprojekt an der Universität Göttingen. Schlichting profitiert bei seiner Arbeit von jüngsten Erkenntnissen aus der Hirnforschung, insbesondere der Analyse von Rezeptoren.

Bahnbrechendes hierzu veröffentlicht Dr. med. Vollenweider aus Zürich. Er läßt freiwillige Probanden eine halluzinatorische Dosis Psilocybin einnehmen. Danach untersucht er mit Hilfe der PET (Positronen-Emissions-Tomographie) die Veränderung der Hirntätigkeit. Die Computerbilder zeigen einen Unterschied zwischen "gutem" und "schlechtem" Trip. Bei Letzterem stellt sich die Koordinierung der Hirnaktivitäten als deutlich gestört dar. Bis in die tiefen Basalganglien hinein herrscht Disfunktion zwischen den Gehirnteilen. Die vom Probanden als positiv erlebten Versuche manifestieren sich als eine Stoffwechsel-Überaktivität des Frontalhirns und geradezu erstaunliche Harmonie der Gehirnteile untereinander. Vollenweiders Erkenntnisse können der psilocybin-unterstützten Psychotherapie neue Wege eröffnen.
Damit schließt die moderne Wissenschaft den Kreis zu den Heilzeremonien der Schamanen. Seit Urzeiten bringt ihnen der Pilz die kosmische Entgrenzung, das heilige Ritual, um Gott zu schauen.

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